Minister zu Guttenberg hat einen Fehler gemacht. Er hat für seine Dissertation wohl gnadenlos abgekupfert. Und er dementiert. Kann das gut gehen? Die Öffentlichkeit erregt sich. Dabei ist dieser Fall nur die Spitze des Eisbergs. Ein gesellschaftliches Phänomen macht sich nicht nur in der Politik, sondern auch in der Wirtschaft immer mehr breit: die Fassadengesellschaft.Es fehlt: Authentizität.
Ein erfolgreicher Minister im Amt erstellt seine Dissertation „in mühevollster Kleinarbeit“ offenbar zum großen Teil über Copy and Paste. Das Internet ist schließlich umsonst. Die Mühe war es nicht: Promotion mit „Summa cum Laude“. Gratulation. Und Keiner hat’s gemerkt. Keiner? „Lügen haben kurze Beine“, sagt der Volksmund. Doch dass ein Adeliger durch unadeliges Verhalten auffällt und dafür zu Recht, wie ich meine, öffentlich abgestraft wird, verdeckt, dass er nichts anderes gemacht hat als das, was viele Tausende täglich tun: Staffage aufbauen.
Kompetenz ist das eine, kompetent zu erscheinen, ist etwas anderes. Guttenberg hat das nicht wirklich nötig gehabt. Vielleicht ist er einfach seiner Eitelkeit erlegen. Oder einem gesellschaftlichen Phänomen. Nicht das Sein, wie Karl Marx das behauptet hat, sondern der Schein bestimmt das Bewusstsein in der Fassadengesellschaft. Lebensläufe werden aufgebrezelt und Karriereberater zeigen, wie das am besten geht. Es muss ja nicht gleich Täuschung sein, aber hier wird etwas aufgeblasen, dort etwas weggelassen. Und fast möchte man meinen, dass die Personalverantwortlichen in den Unternehmen es nicht anders wollen. Nein, platte Floskeln kommen nicht mehr an. Natürlich nicht. Da muss man sich schon etwas Originelles einfallen lassen. Authentizität wird zur Schauspielerei. Und von Schauspielern wissen wir inzwischen, dass sie sich teilweise sogar emotional mit ihrer Rolle identifizieren. Unser Gehirn kann das. Jeder kann Star sein, jeder einen Doktortitel einheimsen. Man muss es nur geschickt genug anstellen. Und wenn mir die Täuschung gelingt, glaube ich selbst daran.
Als Coach begegnet mir immer wieder mal das Anliegen, hinter diese Fassade, hinter dieses „gewollte Ich“ das nötige Bauwerk zu setzen. Aber Bauwerke sind nur tragfähig, wenn sie das nötige Fundament haben. Werte und grundlegende Motivationen sind ein solches Fundament. Und genau hier fällt dann oft genug die Fassade in sich zusammen, weil ihr die Verankerungen zum Ich fehlen.
Jeder, der sich an sein ideales Selbst binden möchte, sollte daher prüfen, ob das der inneren Ökologie zuträglich ist. Veränderung und persönliches Wachstum sind evolutionäre Prozesse. Die brauchen manchmal Zeit, manchmal geht es sprunghaft. Vor allem brauchen sie aber eigene Ressourcen und Potentiale. Wer das aber durch bloße Fassade meint beschleunigen zu können, der sei gewarnt: Diese Geselschaft ist gnadenlos. Sie will Shooting-Stars, sie lebt von den Hypes – auch von den Illusionen. Aber wehe, die Fassade bröckelt. Dann geht der Schuss nach hinten los – und der Star wird erschossen.
Authentizität ist eine Frage der inneren Haltung, ist eine Frage der Kongruenz von Haltung und Außenwirkung. Charismatischen Menschen gelingt das vorzüglich. Authentizität ist auch Vorraussetzung für Vertrauen und Vertrauen ist eine wichtige Grundlage wirkungsvoller Kommunikation. Wem wir nicht vertrauen, mit dem machen wir keine Geschäfte. Menschen haben ein sehr feines Gespür dafür. Und auch deshalb ist die Fassaden-Gesellschaft ein so fragiles Gebilde, auf das man sich besser nicht einlassen sollte. Die Sonne strahlt von innen, der Mond wird angestrahlt. Letzteres ist ganz nett, aber letztlich ist die Sonne der Dauerbrenner, auf dessen Aufgang wir jeden Morgen warten.
Die Fassaden-Gesellschaft ohne Ressourcen und ohne Potenziale bleibt eben nur Fassade. Und wie wir auch alle von sanierten Altbauten wissen, wenn bei der Sanierung zu schnell gearbeitet wurde oder gar schlampig, dann zeigen sich früher oder später die ersten Risse und dann dauert es nicht mehr lange und Substanzschäden zeigen sich, die Fassade bröckelt. Vielleicht ist der Zeitpunkt gekommen, innezuhalten und festzuhalten, dass das ganze Gebäude stimmig sein muss. Und dies erfordert Zeit, Investition in Ressourcen und Potenziale und weckt so Vertrauen und kann dieses Vertrauen dann auch halten, weil es auch hinter der Fassade stimmt.
Derzeit verkaufen sich selbsternannte Experten noch gut. Doch immer mehr wird die Frage nach der Kompetenz und Wirkung gestellt. Diese einfache Frage ist es, die Blender fürchten müssen, wie der Teufel das Weihwasser. Es gibt scheinbar einen Zusammenhang zwischen Inkompetenz und Selbstdarstellung. Sie können als Coach einfach mal untersuchen, ob bei selbsternannten Experten Inkompetenz durch Selbstbewusstsein überkompensiert wird.
Danke für Ihren Kommentar, Herr Zorem. Eine Antwort finden Sie vielleicht auch hier: https://www.mind-steps.de/2010/11/22/management-im-blindflug/.
Auch sehenswert: Prof. Oliver Lepsius, Uni Bayreuth: Guttenberg ist ein Betrüger – http://ow.ly/44CUX