Ist unser Gehirn im Grunde nicht ähnlich konstruiert wie ein Computer? Es wird mit Daten (Wahrnehmungen, Informationen) gefüttert, verarbeitet diese entsprechend bestimmter Programme (genetische Anlagen, Prägungen) und speichert Relevantes auf seiner Festplatte (Gedächtnis). Entsprechend muss man zur Optimierung seiner Funktion das Gehirn doch bei Bedarf nur mit den geeigneten Informationen versorgen – oder in hartnäckigen Fällen einen Coach oder Trainer engagieren, um das Gehirn umzuprogrammieren. Oder?
So in etwa könnte es in einem Management-Handbuch stehen, denn nach ungefähr diesem Muster verläuft ein großer Teil dessen, was im Management und in Weiterbildungen noch immer geschieht.
Dass unser Gehirn anders funktioniert, stelle ich in meinem Buch Change – Bewegung im Kopf dar. Hier ein Auszug:
Brain 2.0 jetzt installieren?
Gehirn: ein Organ, mit dem wir denken, dass wir denken. (Ambrose Bierce)
…
Das digitale Zeitalter hat unser heutiges, populäres Verständnis von der Funktionsweise unseres Gehirns geprägt. Wir geben Information hinein, verarbeiten die wie ein Computer mit der vorhandenen Hard- und Software und dann kommt ein, wie auch immer gearteter, gewünschter Output heraus. Wer erfolgreich sein will, muss also nur die richtige Software (Aus- und Weiterbildung) aufspielen und hoch geht’s auf der Karriereleiter. Teilweise herrschen aber auch noch ältere Vorstellungen, nämlich solche aus der Welt des Maschinenzeitalters vor. Wir lernen in jungen Jahren viel, arbeiten damit eine Weile bis dann mit zunehmendem Alter die Maschine Gehirn immer unzuverlässiger und damit nutzloser wird. Keine Weiterbildung mehr für alte Hasen und ab in die Rente!
Was ist da noch dran? Wie arbeitet unser Gehirn wirklich und wie können wir es effektiv nutzen?
…
«What fires together, wires together”
Zunächst sollten wir uns noch kurz mit der Frage beschäftigen, wie Informationsverarbeitung in unserem Gehirn abläuft. Kern der Informationsverarbeitung im Gehirn sind Nervenzellen (Neuronen) sowie die Verbindungen zwischen diesen, die so genannten Synapsen. Innerhalb der Nervenzellen verläuft die Leitung von Reizen über elektrische Potentiale. Soweit können wir vielleicht noch eine Analogie zum Computer herstellen. Aber zwischen den Nervenzellen, also an den Synapsen folgt die Reizübertragung über chemische Botenstoffe, so genannte Neurotransmitter. Adrenalin, Dopamin, Serotonin und Insulin gehören wohl zu den bekannteren dieser Stoffklasse.
Da kommt natürlich die Frage auf: Ist dieser Weg der Datenübertragung nicht sehr kompliziert und wenig effektiv? Antwort: Ja, was die Leitungsgeschwindigkeit angeht, aber was die Effektivität der Informationsverarbeitung betrifft, ist diese Grundarchitektur des Gehirns eine geradezu geniale Erfindung der Natur. Synaptische haben gegenüber festen Verbindungen nämlich den Vorteil, dass Signale gezielt verstärkt oder gehemmt werden können. Dies geschieht zum einen durch Verstärkung oder Rückbildung der Synapsen als auch durch die aktive Wirkung der Neurotransmitter. Diese Verbindungen funktionieren dann ähnlich wie Widerstände, Dioden oder Transistoren – wenn wir wieder eine Analogie zur Mikroelektronik herstellen wollen. Nur haben wir es mit »plastischen« Schnittstellen zu tun, d.h. sie können sich verändern.
Über ihre Verästelungen kann eine einzige Nervenzelle sich mit einigen Tausend anderen Nervenzellen synaptisch verknüpfen. Allein dies zeigt das enorme Vernetzungspotential des menschlichen Gehirns. Es ist nahezu unbegrenzt. Erst seit kurzem wissen wir, dass nicht nur Synapsen neu gebildet werden können, sondern sogar Nervenzellen nachwachsen können, zumindest in bestimmten Teilen des Gehirns, zum Beispiel dem Hippocampus. Für sich genommen stellt das Gehirn damit schon ein ungeheuer komplexes System dar, für das ebenfalls die im vorigen Kapitel besprochenen Grundsätze komplexer Systeme gelten. Es ist als Teil des zentralen Nervensystems aber darüber hinaus auch mit dem gesamten Organismus vernetzt und bildet mit diesem eine Einheit. Unser Gehirn macht uns zwar aus, denn es ist der Ort unseres Bewusstseins, aber es ist doch nur ein Teil von uns.
Die Trennung von Körper und Geist ist daher eine künstliche, die wir besser aufgeben sollten. Das Gehirn dient auch nicht primär dem Denken, sondern vorwiegend der Aufrechterhaltungen und Regulation unserer Körperfunktionen. Wir werden noch darüber sprechen, warum das so wichtig ist und was das konkret für uns bedeutet.
Nochmals: es gibt in unserem Gehirn keine Unterscheidung von Hard- und Software. Es ist beides zugleich und zudem ständig in Veränderung begriffen. Das lässt sich auf einen einfachen Nenner bringen: Unser Gehirn ist so, wie wir es benutzen. Dabei bilden sich neue Verknüpfungen zwischen Neuronen immer dann, wenn sie gemeinsam erregt werden. Dass dies so ist, vermutete schon Ende der 1940er Jahre der Psychologe Donald O. Hebb: »What fires together, wires together« (was gemeinsam feuert, verdrahtet sich). Inzwischen gibt es empirische wissenschaftliche Befunde, die genau das bestätigen. So bilden sich neuronale Netzwerke aus, die es uns erlauben, Muster zu erkennen, Wahrnehmungen zu bewerten und zu lernen, dass das Berühren einer Kerzenflamme schmerzhaft ist. Neuronale Netzwerke sind in allen willkürlichen, unwillkürlichen, bewussten und unbewussten Prozessen aktiv. Es werden ständig neue Vernetzungen gebildet und bestehende verändert oder auch eliminiert (Abbildung 6). Während Sie diese Zeilen lesen und sich damit auseinandersetzen, verändert sich Ihr Gehirn und es wird nach der Lektüre dieses Buches ein anderes sein als vorher.
…
Mehr Infos zum Buch und Bestellung