Wenn es mal wieder etwas schneller gehen soll

Der Provokative Stil im Systemischen Coaching – oder wie man als Coach lachend sein Einkommen mindert. Von Harald Berenfänger.

„Das kann die jetzt nicht bringen!“ Dieser Gedanke schoss mir durch den Kopf, als ich meine ersten Gehversuche im Provokativen Coaching machte und meiner Lehrerin, Dr. Noni Höfner vom D.I.P.,  dabei zusah, wie sie ihre Methoden vor der Gruppe demonstrierte. Alles, was ich bisher gelernt hatte, wie ein Coach sich zu verhalten habe, kehrte sie ins Gegenteil: Sie sprach mehr als ihr Klient, fiel ihm ins Wort, haute ihm persönliche Hypothesen um die Ohren, verdrehte die Augen zur Decke, wechselte ständig ihre Meinung usw. usw.

Nur eines behielt sie bei: Ihre tiefe Wertschätzung gegenüber dem Menschen, der von ihr Unterstützung erbat. Der Unterschied war nur: Die packte sie nicht in Worte. Die konnte man nur spüren. „Liebevoll“ nennt sie daher auch ihre Haltung gegenüber dem Klienten: Liebevolles Karikieren der Wachstumsbremsen – das ist Provokativer Stil in kurz.

In der Ausbildung und in meinen nachfolgenden Feldversuchen habe ich erfahren, wie gut und wie schnell diese Coaching-Methode wirkt, und seitdem kombiniere ich sie nach Herzenslust mit den anderen Tools meines Methodenkoffers, der sich im Wesentlichen aus Systemischem Business Coaching, aus NLP, Transaktionsanalyse und lösungsfokussierter Kurzzeittherapie speist.

Nachfolgend ein Beispiel, das andeutet, wie das zusammenpassen kann:

Holger, ein Mann um die Vierzig, schlug sich damit rum, zu Frauen zu lieb zu sein. Nichts konnte er ihnen abschlagen, auch Ex-Frauen nicht, immer wollte er es ihnen recht machen. Das Ergebnis dieser Strategie war ernüchternd: Er war seit längerem Single und sein Sexualleben gestaltete sich ausgetrocknet. Im NLP hatte ich das Dickens-Format kennengelernt, in dem man dem Klienten drastisch vor Augen führt, wie sein Leben aussieht, wenn er in den gewohnten Gleisen weiter geht. Ziel ist es, den Klienten dahin zu führen, dass er vor dieser Zukunftsvision so sehr erschrickt, dass er seinen Topf zum Überkochen bringt und dem Coach ein lautes, emotional getragenes „Jetzt reicht‘s!“ entgegenschleudert. Dieser Prozess setzt auf massive Vonweg-Energie, und dem Klienten geht es dabei anfangs nicht besonders gut.

So wollte ich mit Holger nicht arbeiten, und ich entschied mich für‘s liebevolle Karikieren seiner Wachstumsbremsen:

– Ich fragte ihn, wie alt er sei und stellte mir lauthals und übertreibend vor, wie sein Leben aussähe, wenn er doppelt so alt ist und so weiter macht wie bisher, und verniedlichte die Konsequenzen, die sich daraus ergeben würden.

– Ich lobte den Klienten für seine Verhaltensweise und begeisterte mich für das Symptom. Ich malte mir – und ihm – aus, wie er sein Leben ganz in den Dienst frustrierter Frauen stellt, die dank seiner eine zuverlässige Adresse haben, wo sie ihren Seelenmüll abladen können, um dann wieder frei, frisch und gestärkt mit ihren Männern daheim wilden Sex zu haben.

– Ich lobte ihn für sein Verhalten, denn ich sei ja auf Menschen wie ihn angewiesen, die – anstatt sich zu ändern – lieber viel Geld für Coachs wie mich ausgeben, wodurch ich dann wiederum ein angenehmes Leben führen kann.

– Ich empfahl ihm ausdrücklich, seine Haltung gegenüber Frauen beizubehalten. Schließlich sei das ganze Gerede davon, dass Frauen auf selbstbewusste Männer stehen, die wissen, was sie wollen, eine pure Erfindung der Medien. In Wirklichkeit seien Kerle wie er die wahre Speerspitze neuer Männlichkeit.

– Ich fragte ihn, was seine Mama wohl sagen würde, wenn er im Umgang mit Frauen jetzt plötzlich einen eigenen Kopf entwickeln würde. Da würde sie wohl mal mit ihm schimpfen müssen.

Während all dieser Interventionen ließ ich Holger kaum zu Wort kommen und beobachtete wie seine Körpersprache zunehmend Anzeichen von Irritation erkennen ließ, die nach einiger Zeit in ein vorsichtiges „Ich glaube, mein Verhalten ist schwachsinnig, oder?“ mündete (was ich natürlich brüsk verneinte…).

Das Besondere dabei war:

  • Der Klient war keine Spur empört über mich, den Coach
  • Der Klient richtete seinen gesamten, aufkeimenden Widerstand nicht gegen mich oder sich selbst sondern ausschließlich gegen sein schadhaftes Verhalten
  • Der Klient fühlte sich im Innersten verstanden, indem ich Thesen aussprach, mit denen er sich in seinem heimlichen Inneren Dialog sowieso plagte
  • Der Klient fühlte sich von mir respektiert, denn ich traute ihm offenbar zu, die „Wahrheit“ zu hören

Und das Aller-Allerwichtigste:

  • Der Klient lachte. Erst zaghaft und dann laut und herzlich. Die gesamte Not und Anspannung seiner persönlichen Lebenssituation entlud sich in heilsamem Gelächter. Er erkannte die Absurdität seines Verhaltens und konnte zum ersten Mal in seinem Leben darüber lachen. Die Energie, die in diesem Moment den Raum erfüllte, ist schwer zu beschreiben. Sie war sehr besonders.

Danach konnten wir dann mit den üblichen Methoden weitermachen: Mit der Shazer’schen Wunderfrage half ich ihm, sich eine wundervolle Zukunft auszumalen und einen ersten Öko-Check zu machen. Ich zollte seinen bisherigen Lösungsversuchen Respekt, und wir entwarfen eine Strategie mit konkreten Schritten, was er wann wie tut, um ein neues Verhalten auszuprobieren und zu festigen. Klassisches Coaching-Handwerk eben.

Ich stimme zu, dass man dem Klienten auch mit den üblichen systemischen Fragen oder mit einem Dickens-Pattern hätte helfen können, seinen Point of no Return zu erreichen. Aber! Ich bin davon überzeugt, dass es mit den liebevollen Provokationen erheblich schneller ging (und damit für den Klienten sogar noch kostengünstiger) und dass die positive Energie des Lachens viel mehr Veränderungskraft in sich birgt als die Kraft des Erschreckens im Dickens oder die Nachdenklichkeit behutsamen Nachfragens.

Muss es immer so „hart“ sein wie oben geschildert? Nein, sicher nicht. Manchmal streue ich auch nur ein oder zwei kurze provokative Sequenzen ein, wenn ich meine, dass sie den Klienten bewegen könnten, aus seiner emotionalen Komfortzone herauszukommen, innerhalb derer wirkliche Veränderung nicht möglich ist. Da reicht manchmal ein vermeintlich beiläufig aber geschickt platzierter Halbsatz, um die gewünschte Irritation zu erzeugen und den Klienten „auf Betriebstemperatur“ zu bringen.

Und schlussendlich: Diese Art des Coachings macht richtig viel Spaß, denn es gibt immer wieder auch was zu lachen, und die Passagen des Jammerns und Klagens werden immer kürzer. Nur betriebswirtschaftlich ist das Ganze Unfug – denn die Klienten müssen deutlich seltener wiederkommen, bis sie ihre Themen wieder im Griff haben…

Harald Berenfänger

Harald Berenfänger ist Coach für kraftvolle Führung und innere Freiheit und Trainer für souveräne Stimme und Körpersprache in Bonn.

Das könnte Sie auch interessieren:

Diesen Beitrag teilen

Eine Antwort auf „Wenn es mal wieder etwas schneller gehen soll“

  1. Hallo Harald, lieber Kollege,
    ganz ähnlich wie Dir erging es mir, als ich über Martina Schmidt-Tanger zum ersten Mal mit provokativem Coaching in Kontakt kam (2002). Ich hielt das damals für diametral entgegengesetzt dem Pacing-Gedanken des NLP. Aber man kann auch in der Provokation pacen. Meine Erfahrung ist inzwischen , dass Provokation immer dort hilft, wo freundlich-wertschätzende Kommunikation an ihre Grenzen stößt, weil sie Menschen zu wenig berührt. Aber Menschen verändern sich, wenn sie „berührt“ werden. Das kann freundlich wertschätzend geschehen, aber eben auch provokativ.
    Danke für Deinen spannenden Beitrag!
    Constantin

Kommentare sind geschlossen.