Vorbilder: Sperrt die Tigermutter ein!

In den USA geht die Angst vor dieser Frau um. Das neue enfant terrible heißt Amy Chua. Die Juraprofessorin vertritt in ihrem neuen Buch das chinesische Erfolgsmodell der Erziehung: Drill. Leitbild auch für erfolgreiches Management? Chinas Erfolg als Wirtschaftsmacht und die PISA-Studien geben ihr recht. Hängt China damit den Westen bald ab? Wohl kaum.

Amy Chua lehrt an der Yale University und ist Tochter chinesischer Einwanderer. Die westliche Erziehung war ihr zu weichherzig. Ihre eigenen Töchter hat sie daher mit harten Drill erzogen. „Tigermutter“ und „Mutter des Erfolgs“ sind die Titel, die ihr verliehen wurden. Mich erstaunt das. Ist ihr repressiver Erziehungsstil besser, als der westliche Stil, der Kindern viele Spielräume lässt?

Mit Drill zum Erfolg?

Drill bedeutet, Menschen gefügig zu machen, den eigenen Willen auszutreiben und sie unter das Regiment eines imaginären idealen Menschen zu stellen. Was Amy Chua predigt, ist das Ideal maoistischer Erziehung. Nicht das individuelle Konzept von Glück zählt, sondern das, was das Kollektiv, die Partei – oder in diesen Fall eben die „Tigermutter“ dafür hält. Sie will sich ihre Kinder nach ihrem Gusto formen. Es reicht nicht, dass ihre Töchter Erfolg haben sollen. Nein, die Mutter entscheidet, worin sie erfolgreich sein sollen. Eigene Wahl des Musikinstrumentes? Kommt nicht in Frage! Die eine Tochter hat Klavier zu lernen, die andere Geige. „Willst Du nicht üben, verbrenne ich Deine Spielsachen.“ Das ist aus meiner Sicht keine Erziehung, das ist die, an Sadismus grenzende, narzisstische Ekstase einer krankhaft-ehrgeizigen Frau. Sperrt diese Tigermutter ein!

Oder sollte Drill doch Schule machen? Kann China Vorbild sein? China ist ein wirtschaftlich rasant erstarkender Gigant. Aber China ist auf der Bühne von Wissenschaft und technischer Innovation ein Statist. Kaum verwunderlich: Denn das chinesische Schulsystem ist nicht auf die Förderung von analytischem Denken und Kreativität angelegt. Lernen funktioniert nach dem Prinzip des nürnberger Trichters. Wissen wird unter Druck in die Schüler hineingefüllt. Von Morgens bis nachmittags wird gepaukt. Nicht ohne Erfolg, denn in Mathematik hängen zum Beispiel Schüler aus Shanghai ihre Altergenossen aus New York und Berlin um Längen ab, wie der jüngste PISA-Test zeigte.

Auch ein Grund, um über den Sinn und Unsinn von PISA einmal nachzudenken. Denn selbst chinesische Pädagogen kritisieren inzwischen, dass ihre Kinder zu Lernrobotern erzogen werden: Auch chinesische Professoren bemängeln , dass es ihren Studenten an eigenständigem Denken und Kritikfähigkeit fehlt. Sie sind gut im Widerkäuen, aber schlecht im Hinterfragen und eigenen Gestalten. Und zahlreiche junge Menschen scheitern psychisch an diesem System, halten dem enormen Druck nicht stand. Sowohl in China als auch unter den chinesischen Einwanderern in den USA herrscht eine überdurchschnittlich hohe Suizidrate unter Kindern und Jugendlichen.

Leidenschaft ist der effektivere Motor

Das alles ist nicht verwunderlich, denn wie uns Neurobiologen glaubhaft versichern, erzeugt das Lernen unter Druck auch Angst und fördert damit einen kognitiven Stil, der den kreativen Umgang mit den Lerninhalten massiv erschwert. Das Erlernte bleibt mit dem Gefühl von Druck und Angst verbunden, was den freien Umgang, das kreative Hantieren mit Wissen verhindert. Eine Fehlerkultur gibt es nicht. Im Gegenteil: Jeder hat tadellos zu funktionieren, wenn er nicht sein Gesicht verlieren will. Ich frage mich: wozu? Natürlich kann man lernen, Klaviersonaten perfekt vom Blatt zu spielen. Aber die wahre Kunst liegt in der Improvisation. That’s Jazz, that’s Rock!

Erfolg wächst in eine freiheitlichen Gesellschaft nicht auf Drill, sondern auf Leidenschaft. Und die kann nur entstehen, wenn wir das Streben nach Glück als zentrales Wesensmerkmal freier Menschen respektieren. Motivation entsteht dort, wo Menschen ihr eigenes Glück gestalten können. Und daraus entsteht Erfolg, wenn sie Zukunft mit anderen gemeinsam zu steuern in der Lage sind. Die Alternative zum oft kritisierten Laissé faire ist nicht Drill, sondern das Setzen von Gestaltungsrahmen. Das sind unsere Werte und Ziele. Das schafft Grenzen, aber auch Orientierung. Und die braucht jede Gesellschaft, die braucht jedes Individuum. Beliebigkeit ist kein Synonym für Freiheit.

Was können wir mit angepassten, kritiklosen Menschen im Management anfangen, die nach oben buckeln und nach unten treten? Manager müssen mehr denn je gestalten können. Moderne Gesellschaften und menschliche Individuen sind lernende Systeme, keine Maschinen.

Wenn wir beugsame Intelligenzroboter wollen, dann ist der maoistische Erziehungsstil von Amy Chua genau richtig. Uns sollte allerdings zu denken geben, dass man in China die Defizite seines Bildungssystems selbst erkannt hat. Interessanterweise hat auch Amy Chua das wohl begriffen, indem sie feststellt, dass Erfolg nicht alles ist. Ihre zweite Tochter rebellierte als Jugendliche gegen die Mutter, widersetzte sich ihrem Druck. Die Mutter kapitulierte schließlich, weil sie Angst hatte, die Tochter zu verlieren. Sie sei eigentlich eine Hasenmutter geworden, sagte sie in einem Fernsehinterview. Das Glück ihrer Tochter sei ihr wichtiger gewesen.

Amy Chua: Die Mutter des Erfolgs.
Wie ich meinen Kindern das Siegen beibrachte.
Verlag Nagel & Kimche, 4. Auflage, 256 S.

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6 Antworten auf „Vorbilder: Sperrt die Tigermutter ein!“

  1. Hallo Herr Sander,
    da hatten wir wohl beide dieselbe Idee, die uns packte. Ich habe am Wochenende auch einen längeren Blogbeitrag zu Frau Chuas „Erziehungsmodell“ geschrieben. Vor allem fand ich bemerkenswert, dass hier Strategien der „schwarzen Pädagogik“ wieder aufleben, die hoffentlich in unserer Gesellschaft überwunden sind.

    Alice Miller hat ja 1997 mit ihrem Buch „Das Drama des begabten Kindes“ sehr präzise analysiert, was derlei „bedürftige“ Eltern bei ihren Kindern anrichten können. Meine Meinung dazu finden Sie unter: http://3.ly/uaeG

    1. Hallo Herr Kopp-Wichmann,

      ja, da konnte ich nicht an mich halten. Nicht wegen des Buches (Aufreger bringen ja Systeme immer so schön in Resonanz), sondern eher wegen der teilweise verharmlosenden Kommentare.

      Wir verfolgen da in unseren Beiträgen recht unterschiedliche Blickwinkel, aber offenbar mit ganz ähnlichen Schlussfolgerungen. Ihr Foto „Arbeit macht frei“ ist natürlich schon gewagt! Ich habe schon Kritik bekommen wegen meines Bezuges auf den Maoismus. Aber ich bin ein Freund klarer Worte und provokativer Überzeichnungen. Vielleicht ist es aber gar nicht so überzeichnet, wenn man sich z.B. folgenden Beitrag anschaut: http://www.3sat.de/page/?source=/nano/gesellschaft/151570/index.html

      Beste Grüße von der anderen Seite des Neckars
      Constantin Sander

  2. Hallo Constantin Sander,

    durch diesen Drill werden die Kinder mit lauter Paradigmen gefüttert – die sie für das ganze Leben prägen. Mit dieser Methode wird die ganze Kreativität, wie in einem Sarg ganz tief im Boden verbuddelt.

    Danke für Ihren Blogbeitrag, und bitte stoppt diese Frau!

    Mit den besten mentalen Erfolgsgrüssen,
    Swen-William Bormann;-)If you can dream it, you can do it!

  3. Herr Sander, vielen Dank für diesen interessanten Beitrag! Dachte zuerst: „Was ist das für eine Mutter…“ Doch am Ende konnte ich mit dem letzten Satz doch noch meinen inneren Frieden finden: „Das Glück ihrer Tochter sei ihr wichtiger gewesen.“ Na geht doch…

    Mit Grüssen aus der Schweiz
    Jonas Z.

  4. Amy Chua hat auch die Weiterbildungsbranche erreicht. Im Heft 4/2011 der Zeitschrift „Personalwirtschaft“ habe ich dieses Thema noch mehr unter dem Bildungsaspekt betrachtet.

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