»Ich habe Stress«, »Ganz schön stressig heute«, »Bloß kein Stress«. Das alles sind geflügelte Ausdrucksweisen, bei denen uns der Begriff Stress locker über die Lippen geht. Oft meinen wir damit nur: »Habe viel zu tun« oder »bin unter Zeitdruck.« Stress ist im allgemeinen Sprachgebrauch ein eher unscharfer Begriff, echter Stress kann hingegen messerscharf ins Herz gehen – oder andere Organe und unsere Psyche treffen. Aber was ist Stress denn nun eigentlich? Lesen Sie einen Auszug aus „Change! Bewegung im Kopf.“
Der Begriff Stress geht auf den österreichisch-amerikanischen Arzt Hans Seyle zurück. Dieser hatte sich in den 1930er Jahren darüber gewundert, dass Patienten mit sehr unterschiedlichen Belastungssituationen teilweise sehr ähnliche Krankheitssymptome zeigten. An Ratten konnte er zeigen, dass sich derartige Symptome durch extreme Belastungen gezielt auslösen ließen. Später nannte er das Phänomen Stress. Schon Seyle brachte Stress mit einer Anpassungsreaktion in Verbindung.
Früher unterscheid man positiven Stress (Eustress) und negativen Stress (Disstess). Sogenannter Eustress ist im engeren Sinne kein Stress, sondern ein Gefühl von Anspannung, verbunden mit Wachheit und Aufmerksamkeit, was aber durchaus als Abweichung von einem Idealzustand empfunden wird. Grawe spricht von kontrollierbarer Inkongruenz. Hier werden Aufgaben noch als beherrschbar und als Herausforderung begriffen.
Kommen wir aber zu echtem Stress. Der beeinflusst den Hormonhaushalt, das Herz-Kreislaufsystem, den Zuckerhaushalt, das Verdauungssystem, die Atmung, die Muskulatur und das Gehirn. Allen Stressreaktionen ist gemein, dass sie den Körper auf Wachheit, Aktivität und Abwehr trimmen. In den Nebennieren werden Adrenalin und Noradrenalin produziert, das Herz-Kreislaufsystem und die Atmung erreichen ein höheres Aktivitätsniveau, die Durchblutung der Muskulatur und des Gehirns werden verstärkt, die Leber mobilisiert Zucker aus dem gespeicherten Glykogen und die Verdauungstätigkeit wird reduziert. Unser Köper wird also in einen Alarmzustand, versetzt.
Da Stressreaktionen von unserem Gehirn gesteuert werden, ist es nun wenig erstaunlich, dass uns auch hier wiederum die Neurobiologie eine genauere Einsicht in die mit Stress zusammenhängenden Faktoren und Prozesse gebracht hat.
Vorhandene Verschaltungsmuster in unserem Gehirn ermöglichen uns die Anwendung erworbener Fähigkeiten, erzeugen bestimmte Erwartungen und Gefühle. Situationen, in denen unsere Fähigkeiten nicht ausreichen (»Hilfe, so etwas habe ich noch nie gemacht …«), in denen unsere Erwartungen nicht erfüllt werden (»Wieso passiert das jetzt?«) oder unsere Gefühle verletzt werden (»Das tut mir weh«), empfinden wir als psychische Belastung. Nichts von dem, was wir bisher gelernt haben, funktioniert. Es gibt kein adäquates neuronales Muster, das sich aktivieren ließe.
Das limbische System erzeugt dann in uns ein Gefühl von Angst und eine weitere Etage tiefer leitet der Hypothalamus, wie oben beschrieben, physiologische Stressreaktionen ein. Über seine Wirkung auf das Herz-Kreislaufsystem, das vegetative Nervensystem und das Immunsystem kann dauerhafter Stress eine ganze Reihe somatischer Erkrankungen verursachen.
Unter Stress wird unser Körper nicht nur zur Bühne unserer Gefühle, sondern geradezu zu einer Arena der Gladiatoren. Hier geht immer um die Abwehr von Gefahr und die Wiederherstellung von psychischer und physischer Stabilität. Das ist der Moment, in dem uns der Schweiß ausbricht, das Herz rast, möglicherweise die Haare zu Berge stehen, der Magen flau wird oder wir sogar das Gefühl haben, dass uns der Boden unter den Füßen wegbricht.
Stressempfinden ist sehr subjektiv. Was den einen an seine Grenzen bringt, ist für den anderen gerade eine spannende Herausforderung. Der Grund für diese Unterschiede liegt in der individuellen Wahrnehmung und Bewertung des Erlebten. Meist sind tief sitzende, erlernte Denk- und Verhaltensmuster dafür verantwortlich, ob wir eine Belastung als angenehm oder unangenehm empfinden. Dabei ist es unwichtig, ob der Stressor, also die auslösende Belastung real vorhanden ist, oder vom Betroffenen nur imaginiert oder ein Stressereignis erwartet wird. Es lassen sich daher auch keine allgemeinen Maßstäbe dafür entwickeln, was Stress auslösen kann und was nicht. Alles, was uns aus der Bahn wirft, wirkt als Stressor.
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(wie Sie Stress vorbeugen und abbauen können, lesen Sie in meinem Buch „Change!“)