Dank moderner Kommunikationsmittel gibt es kaum noch Orte, an denen Menschen nicht mehr erreichbar sind. Mit fatalen Folgen – nicht nur für die Gesundheit.
Der Mensch ist im Räderwerk der Technik gefangen. Er wird zum Teil der Maschinerie, aus der es kein Entrinnen gibt. Konstruiert, um Menschen effektiver arbeiten zu lassen, versklaven die Apparate den Menschen. So karikiert es Charlie Chaplin 1937 in seinem Filmklassiker „Moderne Zeiten“. Glaubt man den Statistiken und den Warnungen der Experten, ist Chaplins Film aktueller denn je.
Emails, SMS und mobile computing sollten die Kommunikation von Menschen verbessern und das tun sie ja auch. Aber dies führt in der Konsequenz auch zu einer Entgrenzung der Arbeit. Sozusagen als Kollateralschaden der Kommunikationsgesellschaft. Die Trennlinie zwischen Job und Privatem löst sich mehr und mehr auf. Immer mehr Menschen können immer weniger abschalten, denn immer mehr verschieben berufliches in die Abendstunden und ins Wochenende. Online zu sein kostet mit dem Smartphone ja nur einen Wisch über den Bildschirm. „Mal eben noch die Mails checken …“
„Wer Beruf und Freizeit oft nicht vereinbaren kann, klagt über mehr als doppelt so viele Symptome wie Erschöpfung, Niedergeschlagenheit oder Kopfschmerzen wie der Durchschnitt“ war kürzlich auf der Webseite „Neurologen und Psychiater im Netz“ zu lesen. Dies ist aber kein subjektiver Eindruck einzelner Ärzte, sondern entstammt einer Studie des wissenschaftlichen Dienstes der AOK. Wer den Job oft vor Privates stellt, wer häufig Überstunden macht, der läuft häufiger Gefahr, an psychischen Beschwerden zu leiden als andere Menschen.
Die Zahlen sind in der Tat alarmierend. Von 2004 bis 2011 ist laut AOK die Zahl der Behandlungen von psychischen Beschwerden um 40 Prozent angestiegen. Die Zahl der Krankheitstage habe sich in diesem Zeitraum sogar verelffacht und betrug 2,7 Millionen. Kostenfaktor für die Kasse: 9,5 Milliarden Euro. Dies ist die Kehrseite vermeintlich effektiverer Kommunikation. Einige Betriebe reagieren: Inzwischen gehen Firmen wie z.B. Volkswagen dazu über, das Abrufen des geschäftlichen Email-Kontos in der Freizeit zu unterbinden.
Aber auch während der Arbeitszeit ist ständige Erreichbarkeit ein Problem. Die vermeintliche Effektivität der Kommunikation ist nämlich nach meiner festen Überzeugung eine Illusion, ein schwer zu zerstörender Glaubenssatz der Digitalgesellschaft. Die Begründung ist ziemlich einfach: Unser Gehirn kann kein Multitasking. Jedenfalls nicht unser bewusstes Denken. Wir können uns immer nur auf eine Sache fokussieren. Alles andere blendet unser Gehirn automatisch aus. Unser Unbewusstes kann aber an zahlreichen Prozessen parallel arbeiten, angefangen bei der Regelung unserer Darmtätigkeit über das Bedienen der Kaffeemaschine bis hin zum Lösen komplexer Probleme mithilfe unseres Extensionsgedächtnisses, unserer unbewussten Erfahrung. Durch das ständige Bombardement mit neuen Informationen und zu lösenden Problemen wird aber eine Flut an Prozessen ausgelöst, die unser Gehirn irgendwann nicht mehr bewältigen kann.
Und so entstehen quasi eine Unzahl neuronaler Denkbaustellen, die sicher eines nicht bewirken: effektives Arbeiten. Dafür löst der Datenoverflow allerdings Stress aus, denn unser Gehirn sucht zunächst immer nach Lösungen anhand bekannter Muster. Gelingt dies nicht, versuchen wir uns an neuen Mustern. Bei komplexen Problemen braucht es dazu aber Zeit. Lernvorgänge, die Ausbildung neuer neuronaler Muster sind Prozesse, die Ausdauer, Persistenz, erfordern. Diese nötige Zeit nehmen sich Menschen immer weniger.
Doch es zeigt sich ein weiterer Effekt: Das Multitasking unseres Denkorgans führt zu einer alarmierenden Flüchtigkeit der Gedanken, die zwar eine Menge in Gang setzt und daher wie bei einem Junkie den Endorphinpegel hebt, aber letztlich wenig Brauchbares hervorbringt. In einem meiner Workshops beschwerte sich einmal eine Führungskraft über das Tempo der Veranstaltung. Er hätte es gern „quick and dirty“ sagte er, während er an seinem Smartphone die Emails abrief.
ADHS wird so zum Zeitgeist. Aufmerksamkeitsdefizite und Konzentrationsmängel avancieren zur Firmenkultur, wenn ständige Erreichbarkeit von einem Manager erwartet wird. Kaum hat er ein Problem angedacht, erscheint schon das Nächste auf dem Schirm. Aber wer seinen Managern Leistung abverlangt, sollte ihnen auch die Zeit und den Raum geben, um diese zu erbringen. Im Zeitalter der Datenjunkies geraten sonst Ziele und Prioritäten schnell aus dem Blick. Die Ideologie der Flüchtigkeit atomisiert unsere Aufmerksamkeit wie beim abendlichen Zappen durch die TV-Kanäle.
Wer aus seiner Firma eine digitale Fastfood-Company machen möchte, bei der die Frequenz der Informationsverarbeitung zum Gradmesser guten Arbeitens wird, der sollte am besten so weitermachen. Er muss dann aber auch damit rechnen, dass Wesentliches im Datennebel unkenntlich wird und das Schiff irgendwo herumdümpelt, ohne dass die Mannschaft wirklich weiß, wo es hingehen soll.
Aber es gibt auch andere Beispiele: Eine Führungskraft berichtete neulich, dass sie selten Emails lese. Er sei häufig „unplugged“. Auf die Frage, ob das keine Probleme aufwerfe, antwortete er: „Nein, denn wenn Leute etwas wichtiges von mir wollen, rufen sie an.“ Ha, nun könnte man boshaft behaupten, dass diejenigen, die schnell mal eine Email schreiben, nichts wirklich Wichtiges zu sagen haben. Aber diesen Gedanken vergessen wir am besten schnell mal wieder, oder?
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