Konflikte entstehen dann, wenn Menschen sehr unterschiedliche Erwartungen aneinander haben. Wir sind dann vom anderen enttäuscht oder sind gar verärgert. Je größer unser Ärger, umso weniger sind wir fähig, das wahrzunehmen, was jenseits unserer Erwartungen geschieht und vergeben damit oft die Chance, die Situation zu klären. Zwei Konflikte um das gleiche Thema zeigen, wie man einen Konflikt an die Wand fahren – oder klären kann.
Kürzlich kam es an eine Berliner Schule bei einem Elterngespräch zum Eklat zwischen türkischen Eltern und der Lehrerin des Sohnes . Der Vater wollte aus religiösen Gründen der Lehrerin nicht die Hand reichen. Diese bestand aber mehrfach auf dem Handschlag, woraufhin die Eltern des Schülers das Gespräch abbrachen und anschließend Strafanzeige gegen die Lehrerin erstatteten. Der Vater fühlte sich durch die Pädagogin genötigt und in seinen religiösen Gefühlen verletzt. Die Lehrerin hingegen sah in der Verweigerung des Handschlags eine Respektlosigkeit ihr gegenüber. Wer hat nun Recht? Hier gehen die Meinungen auseinander. Die einen schlagen sich auf die Seite der Lehrerin, andere meinen, sie hätte nicht so engstirnig sein sollen. Und auch Sie haben vielleicht auch eine Meinung dazu.
Interessant ist, was die Eltern später in einem Interview mit dem Deutschlandfunk gesagt haben. Die Mutter sah ein, dass die Lehrerin sich wahrscheinlich verletzt fühlte. Ihr und ihrem Mann ginge es aber ebenso. Der Vater sagte, er habe der Lehrkraft in die Augen geschaut, sie freundlich angelächelt, seine Hand aufs Herz gelegt und sich leicht verbeugt. Das sei seine Art, Frauen Respekt zu zeigen.
Ortswechsel. In einer Hamburger Schule gab es einen ähnlichen Vorfall. Ein muslimischer Abiturient erklärte seiner Lehrerin vor der Abiturfeier, dass er aus religiösen Gründen weder ihr noch der Direktorin bei der Überreichung des Reifezeugnisses die Hand reichen werde.
Die Empörung war groß. Ein Teil des Kollegiums forderte den Ausschluss des Schülers von der Abiturfeier. Die Direktorin aber führte ein klärendes Gespräch mit dem Schüler – und akzeptierte schließlich dessen Entscheidung. Das ließ allerdings die Wogen noch höher schlagen und mehrere Lehrkräfte blieben aus Protest der Abschlussfeier fern. Es geschah dann aber etwas sehr Bemerkenswertes. Der Schüler reichte bei der Abiturfeier der Direktorin doch die Hand.
Was war geschehen? Da wir den Inhalt des Klärungsgespräches nicht kennen, können wir hier nur vermuten. Möglicherweise hat das Bemühen der Direktorin, den Schüler zu verstehen, zu einem Sinneswandel bei dem jungen Mann geführt. Hier ein konstruierter, möglicher Dialog:
Lehrerin: „Ich bin verärgert. Warum willst Du mir nicht die Hand reichen? Für mich ist die Handreichung ein Zeichen der Freundlichkeit und des Respekts. Und ich möchte gern respektiert werden.“
Schüler: „Das verstehe ich. In meiner Kultur schickt es sich aber nicht, andere Frauen zu berühren. Unsere Art, Respekt zu erweisen ist eine andere. Wir verbeugen uns vor Frauen.“
Lehrerin: „Aha, Du respektierst Frauen also?“
Schüler: „Selbstverständlich. Aber nicht, indem ich ihnen die Hand reiche.“
Lehrerin: „Ok, das hilft mir, dich besser verstehen. So kann ich das akzeptieren. Mir ist der Respekt wichtig, nicht der Handschlag.“
Vielleicht hat ihr offenes Ohr die Tür zur Verständigung und des Vertrauens geöffnet. Letzteres kann man nicht erzwingen, aber man kann Menschen empathisch einladen. Das scheint in diesem Fall gelungen zu sein.
Hätte das im ersteren Fall auch gelingen können? Ich denke schon. Denn wenn ich zu Recht darauf bestehe, dass mir Respekt entgegen gebracht wird, dann sollte ich mich auch bemühen, eine Respekterweisung als solche anzunehmen. Kommunikation gelingt dann am besten, wenn wir erst den Anderen verstehen. Das erhöht enorm die Chance, dann auch selbst verstanden zu werden. Türen öffnen, ist immer hilfreicher, als diese zuzuschlagen.
Wie sehen Sie das?