Arbeit ist für Menschen ein sinnstiftendes Element in ihrem Leben. Jedenfalls könnte sie das sein. Für viele Menschen ist sie aber eher Beschäftigungstherapie. Die ist weder sinnstiftend noch wertschöpfend und vielfach ein Symptom von Prokrastination.
Die längste Zeit während der Entwicklung der menschlichen Zivilisation verbrachte der Homo sapiens hauptsächlich mit Tätigkeiten, die unmittelbar dem Überleben dienten: Jagen, Früchte sammeln, Feinde vertreiben, Äcker bestellen, ernten. Und das ist noch gar nicht so lange her. Auch im Industriezeitalter diente den meisten Menschen die Arbeit lediglich als Tauschwert gegen Lohn, den man zum Ernähren der Familie brauchte. Sinnfragen hat sich bis dahin kaum jemand gestellt. Man arbeitete, um zu leben. Oder man lebte um zu arbeiten.
Als die Dienstleistungsgesellschaft die Produktionsgesellschaft ablöste, die Taylorisierung und Bürokratisierung der Arbeit zunahm, änderte sich das dramatisch.
Während ein Bauer, ein Handwerker oder ein Industriearbeiter noch sein Tagewerk mit Genugtuung betrachten kann, gelingt das den „white colar workers“ heutzutage oft nicht mehr.
Festgezurrte Strukturen und Prozesse schaffen ein Korsett, das es schwierig macht, den eigenen Beitrag am Gesamten zu erkennen. Je enger das Korsett, umso geringer die Aussicht, dass sich noch so etwas wie Engagement und Motivation und der Eindruck vom eigenen Beitrag entfaltet. Es geht um Besitzstände und die Macht der Gewohnheit. Die Folge: Menschen machen das, was man von ihnen verlangt, aber nicht viel mehr. Menschen sind halt be-schäftigt. Allein dieses Wort sagt schon alles. Man beschäftigt sich oder wird beschäftigt.
Das erzeugt Frust. Immer wieder erlebe ich das im Coaching. „Ich will gern etwas bewegen, aber ich habe keine Spielräume. Immer kollidiert das, was ich möchte, mit vorhandenen Prozessen und Hierarchien.“
Es gibt Leute, die verbringen die Hälfte ihrer Arbeitszeit mit der Bearbeitung ihrer Emails. Andere hetzten von einem Meeting zum nächsten. Und wiederum andere sind eifrig mit Reporting und Dokumentation beschäftigt. Und das teils freiwillig, teil aus Gehorsam. „Ich kann doch nicht die Emails von Abteilungsleiter XY einfach ignorieren!“ Und Abteilungsleiter XY sagt. „Ich muss doch die Leute informieren über … Das könnte ja von Belang sein. Deshalb setze ich die in Cc.“ Und so entsteht ein sich selbst nährendes System von Beschäftigten. Der Mehrwert? Oft gleich Null! So entsteht ein Business-Sport, der da heißt: Geschäftig-sein. Man hat gut zu tun, ist zeitweise sogar gestresst, aber bewegt sich, oft mit anderen zusammen im Hamsterrad.
Von innen sieht das Hamsterrad aus wie eine Karriereleiter, doch die Idee, man müsse nur schneller strampeln, um voran zu kommen, entpuppt sich irgendwann als Trugschluss.
Da wird Business zu Busyness. Und ja, man kann diesen Sport auch kultivieren. Besonders empfehlenswert für Menschen, die sich schwer tun, die wichtigen Dinge anzupacken, die schweren Brocken zu heben. Aber in denen steckt der Mehrwert. So wird Busyness zu einem Anzeichen der Prokrastination, dem innere Schweinehund. Stefan Fädrich hat das in seinem Podcast als perfide Form der Faulheit bezeichnet. Und ich fürchte, er hat Recht.
Und hier kommt meine Trainingsanleitung für gepflegte Busyness:
- Fangen Sie nie mit den wichtigen Dingen an, widmen Sie sich immer zuerst den unwichtigen oder vermeintlich dringenden Dingen. Gut Ding hat Weile.
- Studieren Sie Ihr Email-Postfach ausführlich, damit Ihnen auch garantiert nichts entgeht. Beantworten Sie Mails möglichst ausführlich, damit der Empfänger sich nicht zu sehr bei der Arbeit langweilt.
- Suchen Sie das Gespräch mit Menschen, die Ihnen bei der Arbeit nicht weiter helfen können, aber immer für einen guten Plausch zu haben sind.
- Besuchen Sie unbedingt jedes Meeting, zu dem Sie eingeladen sind, damit Sie auch ja nichts verpassen.
- Nehmen Sie unbedingt jede Einladung zu Vorträgen und Konferenzen an, denn Sie müssen informiert sein.
- Spielen Sie den Retter: Übernehmen Sie unbedingt due Jobs Ihrer Kollegen, wenn die überfordert scheinen. Auch wenn Sie nicht gefragt sind.
- Als Führungskraft stecken Sie Ihre Nase unbedingt oft und immer wieder in die Aufgaben Ihrer Mitarbeiter, geben Sie ohne Aufforderung Ratschläge und zeigen Sie sich immer als Problemlöser.
- Reden Sie oft und viel darüber, worin Sie so täglich involviert sind, und reden Sie viel über Ihre langen Arbeitszeiten. Aber weichen Sie unbedingt den Fragen nach dem Wertschöpfungsgehalt ihrer Arbeit aus.
So, und jetzt sind Sie dran: Haben Sie sich irgendwo wiedererkannt? Busyness oder Business, das ist hier die Frage.
Und im nächsten Blogbeitrag schreibe ich Ihnen, dass selbst „Business“ auch noch lange nicht gute Arbeit bedeutet.