Das Gezerre um eine neue Landesregierung in Thüringen zeigt, wie wenig sinnvoll problemorientiertes Denken und Handeln sind. Auch und gerade in der Politik. Dabei liegen einige Auswege auf der Hand.
Es gibt zu jedem Problem mindestens eine Lösung. Und Lösungen sind nie da, wo das Problem ist. Das sind zwei Grundsätze systemischen Denkens, die aber offenbar vielen politischen Akteuren völlig unbekannt sind. Was wir derzeit in Thüringen erleben, ist ein Paradebeispiel dafür, wie man sich im Problem verheddern kann, obwohl Lösungen sichtbar sind. Wie konnte es dazu kommen? Ein Schauspiel in mehreren Akten.
1. Akt: Das Ergebnis der Landtagswahl in Thüringen macht eine Regierungsbildung schwierig. Der amtierende Ministerpräsident Bodo Ramelow will eine Minderheitsregierung bilden, scheitert aber wie erwartet in zwei Wahlgängen. Im dritten Wahlgang kandidiert ein Kandidat der FDP, wohlwissend, dass er auch mit Stimmen aus der AfD rechnen kann, da diese schon zuvor eine Kooperation angeboten hatte. Er wird mit den Stimmen von CDU, FDP und AfD gewählt, was ein politisches Beben in der bürgerlichen Mitte auslöst. Das war zu erwarten. Denn alle wissen nun: Die Partei des rechtsradikalen Björn Höcke hat uns nun im Griff. Glaubte man bisher, diese Partei ausschließen zu können, ist man ihr aus machtpolitischem Kalkül nun in die Falle getappt. Klappe zu.
2. Akt: Die Möglichkeit einer großen Koalition unter Ausschluss der AfD wäre rechnerisch möglich, wird aber verworfen. Schon hier hat man sich wenig Gedanken über gute Auswege gemacht. Ein FDP-Ministerpräsident mit Ministern einer demokratischen Koalition wäre ein gewagtes Novum gewesen, hätte aber erstens die Krise schnell aufgelöst und zweitens die AfD desavouiert. Ihr Trick wäre ein Bumerang gewesen. Im Kampfsport nennt man das Jui-Jitsu. Die Energie des Gegners gegen ihn selbst richten. Aber die Regie hält nichts von Jui-Jitsu, sondern will etwas anderes: Unter dem Druck der Bundesparteien knicken die thüringer CDU und FDP ein, der frische gewählte Ministerpräsident tritt zurück. Neuwahlen werden ins Gespräch gebracht.
3. Akt: Ein sichtlich aufgebrachter Bodo Ramelow erneuert seinen Führungsanspruch, sekundiert von seinen designierten Koalitionären von SPD und Grünen. Man hatte sich das schließlich so schön ausgemalt, den Koalititionsvertrag mühsam verhandelt. Also: Die CDU soll nun mal das linke Bündnis ermöglichen. Die Union hingegen pocht auf ihren Unvereinbarkeitsbeschluss, nach dem es weder eine Zusammenarbeit mit der AfD noch mit der Linken geben dürfe. Punkt.
Und Pause. Zeit für die Akteure, die ersten drei Akte Revue passieren zu lassen. Die Emotionen sind immer spürbar. Auf den Gängen allerdings wird derweil über eine Expertenregierung wie in Österreich getuschelt. Oder über einen Kompromisskandidaten aus dem Umfeld von SPD und Grünen, der zumindest für Teile der CDU wählbar ist. Aber das ist ja nur Getuschel und man muss das nicht ernst nehmen. Besser man regt sich noch ein wenig über die Sturheit der jeweils anderen Seite auf. Man ist ja schließlich im Recht.
Als der 4. Akt starten soll, tritt nun der Sprecher vor den Vorhang und teilt mit, dass die Darsteller sich noch nicht auf einen Fortgang des Dramas geeinigt hätten. Mit den Vorschlägen der Regisseure sei man jedenfalls nicht einverstanden. Man warte noch auf die erlösende Idee. Die Zuschauer werden derweil unruhig, Empörung macht sich breit.
Das gibt uns Gelegenheit, den Blick weg von Problemstellungen und hin zu Lösungen zu richten. Wie gesagt: Letztere sind nie da, wo das Problem ist. Und das Problem ist hier das rigorose Festhalten an Positionen. All diese sind nachvollziehbar, führen aber nicht weiter. Eine Position kann immer nur eine Option sein. Um weitere zu finden, müssen die Interessen hinter den Positionen formuliert werden.
Und ich mache hier jetzt mal ein paar Vorschläge: Als erstes sollte es den demokratischen Kräften ein Herzensanliegen sein, die Erosion der Demokratie zu unterbinden. Systeme erodieren immer dann, wenn sie nicht mehr handlungsfähig sind. Und derzeit zeigt die Politik in Thüringen, dass sie nicht handlungsfähig ist. Im Effekt wird das eher die antidemokratischen Kräfte stärken. Handlungsfähig ist eine parlamentarische Demokratie dann, wenn ihre Institutionen funktionieren. Dazu braucht es, zweitens, neben dem Parlament eine legitimierte Exekutive.
Weder der Rigorismus der Linken („Ramelow steht das Amt zu“) noch der Rigorismus der CDU („Jede Zusammenarbeit mit der Linken ist ausgeschlossen“) führen zu einer Lösung, welche den eben genannten Interessen dienlich ist. Welche Lösungen liegen also im Suchhorizont der übergeordneten Interessen? Entweder geben Linke und CDU ihre Rigorismen auf, oder man muss Lösungen ins Spiel bringen, die allen Interessen gerecht werden. Das Festhalten an Ramelow ist dabei wenig zielführend. Eine Koalition unter einem Ministerpräsidenten, der eher der Mitte zuzuordnen ist, würde es der CDU ermöglichen, über ihren Schatten zu springen. Damit könnten Linke, SPD und Grüne regieren. Wollen sie das? Oder man greift tatsächlich den Gedanken einer Expertenregierung auf. In Österreich hat das gut funktioniert. Es wäre also nicht einmal ein Experiment. Eine weitere Variante wäre ein unabhängiger, aber allseits geachteter Ministerpräsident, der sein Kabinett aus Vertretern aller demokratischen Parteien zusammensetzt.
Letzteres würde das festgefahrene Denken der Parteienarithmetik auflösen und wäre vielleicht im 21. Jahrhundert eine gar nicht so schlechte Idee jenseits althergebrachter Machtspiele, die die Wähler eher Extremisten in die Hände treiben und daher wenig zielführend sind. Die Welt der eindimensionalen Skala politischer Ausrichtung ist längst ein Modell der Vergangenheit. Schon die Grünen passen da gar nicht mehr hinein und selbst bei den großen Volksparteien fällt es mir zunehmend schwer, sie als Links oder Rechts einzuordnen. Die Welt der Postmoderne ist mehrdimensional und ich wage zu bezweifeln, ab da explizit linke oder rechte Politik noch ihren Platz hat. Das 21. Jahrhundert ist von der digitalen Revolution, der Globalisierung und dem Klimawandel geprägt. Mit den alten Werkzeugen und altem Denken werden wir diesen Herausforderungen nicht gerecht.
Aber Lösungen lauern überall …