Als ich den Buchtitel las, dachte ich zunächst, hier würde jetzt Top-Managern der wahre Sinn des Lebens erklärt. Aber schon der Untertitel verrät, dass die Autorin genau das nicht tut. Aussteigen, Philanthropie und Samariter-Dasein kommt für Gudrun Happich nicht in Frage. Nein, sie schildert anhand von vier Karrieren, wie Führungskräfte aus einem Stuck State herauskommen, wie sie eigene Werte und Motivationen erkennen und neue Visionen schmieden.
Wer kennt das nicht: Irgendwann im Berufsleben kommen Menschen Zweifel, ob sie auf der richtigen Spur sind. Und der eine oder die andere fällt dabei in eine wahre Sinnkrise. Bei Top-Führungskräften sind es oft die Erfolgsjunkies, die irgendwann fragen: „Wozu das alles?“ Man hat sich für die Karriere ins Zeug gelegt, sich bietende Gelegenheiten für den nächsten Karriereschritt immer bereitwillig angenommen und irgendwann, oft auf dem Höhepunkt der Laufbahn kommen die Zweifel, ob Erfolg glücklich macht. Und dann kommt dieses Buch. Es zeigt exemplarisch, sozusagen in vivo (Happich ist Biologin), wie Menschen, die mit ihrer Karriere hadern, unter professioneller Begleitung (Happich ist auch Coach) wieder Sinn für eine berufliche Zukunft finden. Der Leser wird zum Teilhaber von vier Coachingprozessen.
Wohltuend: Das ist kein Wünsch-Dir-Was-Konzert, sondern beginnt mit der Suche nach den Ursachen, nach den Bedürfnissen, den Gefühlen und den Werten der Coachees. Und damit beginnt die Reise ins Abenteuer berufliche Zukunft. Vier Karrieren, vier sehr verschiedene Wege. Durch Abgründe hindurch, entlang an Quellen der Kraft und hin zu Visionen und konkreten Zielen sowie den Strategien, diese umzusetzen. Die Fallschilderungen sind beispielhaft, wenn auch vielleicht nicht typisch. Aber was ist hier schon typisch? Der Leser gewinnt durch das Nebeneinander von Storytelling und methodischen Beschreibungen einen tiefen Einblick in die Arbeit mit dem beruflichen Lebensweg im Coachimg. Dieser Prozess ist nicht immer einfach, Arbeit eben. Und der Leser wird mitgenommen in die so bezeichnenden Phasen von Veränderungsprozessen. Es geht in den Abgrund („so geht es nicht mehr weiter“), in die Verleugnung („ach was, ich muss doch ganz zufrieden sein“), in die Irritation und auf die Suche („welchen Weg soll ich denn nun gehen“) und schließlich die Erarbeitung einer Vision und deren Umsetzung.
Aber damit nicht genug. Denn meistens kommt es anders als man denkt. Lebenswege, auch berufliche sind keine Geraden, sondern meist verschlungene Pfade. Auch das lässt die Autorin nicht aus und widmet den Hindernissen und Überraschungen ein eigens Kapitel. Und schließlich macht Happich noch etwas. Sie sagt nicht: „Augen zu und durch“, sondern prüft jede Vision auf die Kompatibilität zur inneren und äußeren Ökologie. Im NLP nennen wir das Öko-Check. In jedem Coaching ein Muss, wie ich finde.
Und hier wird es dann doch endlich systemisch. Das hatte ich den größten Teil des Buches sehnsüchtig vermisst. Da sind wenig Außen- und Metaperspektiven zu entdecken, wenig Arbeit im Beziehungsgeflecht. Der individuelle Fokus überwiegt. Das finde ich schade. Und ich persönlich störe mich auch ein wenig an dem Begriff Leistungsträger, den die Autorin gern als Synonym für Top-Führungskräfte verwendet. Das schmeichelt den letzteren, diskriminiert aber all diejenigen, die in geringeren Positionen exzellente Leistungen bringen und ebenso zu Unternehmenserfolg beitragen. Aber das ist vielleicht lediglich Kosmetik und tut dem Wert des Buches nur ein bisschen Abbruch. Es ist ein Werk, das wirklich zählt. Und nicht nur für Top-Führungskräfte.