Vor einigen Jahren machte die These die Runde, dass es keinen freien Willen gebe. Wir seien durch unbewusste Prozesse gesteuert, willentliche Entscheidungen und damit gezieltes Selbstmanagement seien eine Illusion. Die Hirnforscher Gerhard Roth und Wolf Singer hatten diese Behauptung aufgestellt. Jetzt hält der Neurobiologe Joachim Bauer mit einem klaren Statement dagegen.
Wie viel unseres Verhaltens ist bewusst und wie viel ist unbewusst gesteuert? Ende der 1970er Jahre, hatte der amerikanische Neuropsychologe Benjamin Libet festgestellt, dass bei geplanten Handlungen die Aktivierung des motorischen Cortex, also des bewegungssteuernden Zentrums im Großhirn, der bewussten Handlungsabsicht um einige hundert Millisekunden vorauseilt. Das bedeutet: Wir handeln bereits, bevor uns die Handlungsentscheidung bewusst wird. Unbewusste dominieren bewusste Vorgänge. Man könnte das noch mehr pointieren und sagen, das unbewusste Es agiere bereits, wenn das Ich irrigerweise meint, eine Entscheidung getroffen zu haben. Einige Hirnforscher folgerten daraus, dass wir die Sklaven nicht-bewusster Prozesse in unserem Gehirn seien und unser Bewusstsein lediglich in der Illusion der Existenz eines freien Willens lebe, den es eigentlich gar nicht gebe. Dieses Hirngespinst verfolgte uns in den letzten Jahren bis in die Tagespresse.
In meinem Buch „Change!“ habe ich dazu ausgeführt: „Unbewusste Prozesse können bewussten also vorauseilen. Soweit ist das unstrittig. Daraus aber den Schluss zu ziehen, dass sämtliche bewussten Prozesse, also auch die Entwicklung höherer Denkstrukturen und die Entwicklung eines freien Willens dem Diktat unbewusster Prozesse unterliegen, ist nichts weiter als eine Vermutung und alles andere als folgerichtig. Dieser Vermutung liegt außerdem simpler Kausalismus zugrunde, der so in einem selbstorganisierenden, lernenden System wie unserem Gehirn nicht existiert.
Wären unsere Kognitionen reine Sklaven impliziter Prozesse, dann stünden unsere bewussten Denkprozesse als Regulativ grundsätzlich in Frage. Komplexes, zielorientiertes Handeln wäre dann wohl kaum noch möglich und die Entwicklung höherer Kultur schon gar nicht.
Wir wären in der Evolution schlichtweg Schimpansen geblieben, mit denen wir ja immerhin über 98 Prozent unseres Genoms teilen. Die enorme Plastizität unserer Großhirnrinde erlaubt uns aber gerade, die Macht der Gene und der Gewohnheit zu überwinden und über uns selbst hinauszuwachsen – eine Fähigkeit, die in der belebten Welt bisher nur uns Menschen zuteil geworden ist. Höhere Intelligenz ist daher keine Selbsttäuschung, auch wenn unbestreitbar ist, dass unsere Kognitionen oft genug als Überbau für Entscheidungen herhalten, die tiefere Hirnschichten vorbereitet haben. Nur können wir auch das reflektieren und folglich auch kontrollieren – wenn wir wollen!“
Joachim Bauer schlägt nun in die gleiche Kerbe. Er hat dazu ein Buch mit dem Titel „Selbststeuerung. Die Wiederentdeckung des freien Willens“ geschrieben und stellt ganz richtig fest, dass die Biologie keine neue Physik sei. Unser Organismus sei keine Maschine, die nach dem simplen Reiz-Reaktions-Schema funktioniert. Dem Determinismus stellt er das Prinzip der Selbststeuerung entgegen, das in uns allen wohne. Er schreibt in seinem Buch: „Der Determinismus ist eine Ideologie, die jede Initiative, Kreativität und Entschlossenheit lähmt. Denn alle konnten nicht anders als sie sind. Alle sind Opfer.“ Und weiter:
„Eine in den Wohlstandsländern ohnehin vorhandene Tendenz, sich in allen Belangen als Opfer, aber sich für nichts verantwortlich zu sehen, würde zur offiziellen und von der Wissenschaft abgesegneten Doktrin erklärt.“ (Joachim Bauer)
Wir sind aber keine Sklaven unserer Impulse. Selbststeuerung unterbricht den Autopiloten, schafft eine Lücke zwischen Reiz und Reaktion und damit Freiheitsgrade des Handelns. Joachim Bauer zeigt auf, dass Dinge wie persönlicher Erfolg und gute soziale Beziehungen eben nur durch Impulskontrolle und bewusste Selbststeuerung funktionieren. Dies ist nicht nur eine kulturelle Errungenschaft, sondern in unserem Gehirn schon biologisch angelegt. Bauers Buch ist ein Appell zu mehr Achtsamkeit, mehr Bewusstheit und mehr Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten zur Gestaltung unseres Lebens und unseres sozialem Umfeldes.
Im Interview bei der Arbeiterkammer Vorarlberg erläutert Bauer seine Gedanken. 80 Minuten Erhellendes darüber, dass der freie Wille eben keine Illusion ist, aber eben auch kein Subjekt der Beliebigkeit.
Lesestoff dazu:
Bauer, Joachim (2015): Selbststeuerung. Die Wiederentdeckung des freien Willens. München: Blessing, Karl.
Roth, Gerhard (2009): Aus Sicht des Gehirns. Vollst. überarb. Neuaufl. Frankfurt am Main: Suhrkamp (Suhrkamp Taschenbuch Wissenschaft, 1915).
Sander, Constantin (2016): Change! Bewegung im Kopf: Ihr Gehirn wird so, wie Sie es benutzen. 256 Seiten, zahlreiche Abbildungen. BusinessVillage Verlag, Göttingen, 4. Auflage.